Fahrzeugbergung

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Zugkraft, wie viel braucht es?

Als Grundsatz gilt, die Zugkraft des Bergeequipments soll mindestens gleich hoch wie das Gewicht des Fahrzeugs sein.

In den Prospekten (unseriöser) 4x4 Shops wird gern "mini" Bergeequipment mit gewaltigen Zugleistungen beworben. Dabei handelt es sich aber um Zugleistungen von rollenden Lasten. Ein PKW, in der Ebene und auf festem Untergrund, kann auch von einem Kind mit einer Paketschnur gezogen werden. Sinnvoll und auch seriös ist die Angabe der Zugkraft, also der Kraft die das Bergegerät im direkten Zug aufgebringt, egal in welche Richtung. Eine weitere Bezeichnung ist Hebelast.

Beim PKW auf Eis oder festgefahrenem Schnee kennen wir das ja gut. Oft reicht ein Schieben schon aus um das festgefahrene Fahrzeug wieder in Fahrt zu bringen. Auch beim Reisefahrzeug verhält es sich so, oft reichen wenige hundert Kilo Zugkraft um weiter zu kommen. Somit kann der Greifzug oder die Seilwinde mit z.B. 1.6 Tonnen ausreichen... oder eben auch nicht.

Ist ein Reisefahrzeug, zumal eines mit solch hervorragenden Geländefähigkeiten wie unsere, erst mal richtig Festgefahren (oder steckt im Graben) kann es ohne weiteres erheblich mehr Zugkraft brauchen. Aber wie viel braucht es denn eigentlich?

Die beim Bergen/Abschleppen maximal auftretende Zugkraft errechnet sich aus Rollwiderstand+Steigungswiderstand.

Rollwiderstand: Fahrzeuggewicht (in N) ⋅ Rollreibungswiderstand z.B. 5000 Kg ⋅ 9.81 ⋅ 0.4 (= Rollreibung im losen Sand = worst case) = 19620 N  =>  2000 Kg
Steigungswiderstand: Fahrzeuggewicht (in N) ⋅ sin a (Winkel)
z.B. 5000 Kg ⋅ 9.81 ⋅ sin 35° (max. Steilheit einer Weichsanddüne) = 28134 N  =>  2868 Kg

D.h.: Um z.B. im geraden Zug ein Fahrzeug mit 5000 Kg Gesamtgewicht eine Düne hinaufzuziehen (= loser Sand) wird eine Gesamtzugkraft von 4868 kg (= 2000 + 2868 kg) gebraucht. 

In guter Näherung darf die maximale Zugkraft also etwa dem Fahrzeuggewicht gleich gesetzt werden; dies gilt allerdings nur, wenn die Kraft sanft ansetzt, d.h. wenn nicht ruckartig gezogen wird.

 Bergen mit Bergegurten

Das Fahrzeug ist festgefahren und muss mit Bergegurten geborgen werden. Grundregel: Ruhe bewahren, geplant und überlegt vorgehen. Lass dir Zeit!

Vorgehen:

Tipps:

Weitere Tipps: Wenn möglich, sollte das Zugfahrzeug vorwärts bergen. Die Zahnräder von Getriebe, Verteilergetriebe und Differentialen sind auf die Hauptbelastungsrichtung 'vorwärts' konstruiert. Die Kräfte die beim Bergen auftreten, können im Rückwärtsgang deutlich schlechter aufgenommen werden als im Vorwärtsgang. Bei fast allen Fahrzeugen ist der erste Gang tiefer untersetzt als der Rückwärtsgang, wir haben also im Ersten- mehr Kraft als im Rückwärtsgang. Zudem kann immer etwas brechen oder reissen und ein Wohnaufbau als Puffer ist sicherer als die Windschutzscheibe.

Es ist ein grosser Vorteil, wenn ein Dritter die Bergung koordiniert. Er schick Helfer, Zuschauer und Besserwisser aus der Gefahrenzone und gibt das Startsignal. Aus sicherer Entfernung überwacht er die Bergung und gibt, wenn nötig, auch das Kommando zum Bergeabbruch! Ideal ist, wenn die Kommandos per Funk übertragen werden! Man erspart sich Geschrei und ein "Überhören im Lärm der Motoren" ist ausgeschlossen.

Bergen mit Sandblechen

Eine Fahrzeugbergung mit Sandblechen ist "eigentlich" etwas banales. Das Fahrzeug ist festgefahren; Sandbleche so gut und so flach wie möglich unter bzw. vor die Räder legen und losfahren.

Im Sand wird dies nicht ohne grössere Grabarbeiten zu bewerkstelligen sein. Danach die Bleche wieder einsammeln...

Liest sich alles sehr einfach, braucht aber ein wenig Erfahrung und lässt sich also nur sehr beschränkt hier erklären.

Achtung: Sandbleche können beim Anfahren weg geschleudert werden, oder sich beim drüber Fahren hoch schnellen und Fahrzeug oder Menschen treffen!

Bergen mit Seilwinde

Wir haben uns festgefahren und nun muss mit der Seilwinde geborgen werden. Auch hier gilt die Grundregel: Ruhe bewahren, geplant und überlegt vorgehen. Lass dir Zeit! Erinnere dich daran, was du im Umgang mit DEINER Seilwinde an DEINEM Fahrzeug geübt hast! Eine "Übungsanleitung" findest du hier Klick

Ganz wichtig: Ein Windenseil das unter Spannung reisst, ein Schäkel oder gar Abschlepphaken der bricht ist LEBENSGEFÄHRLICH !!! NIE am unter Last stehenden Windenseil hantieren !!

Vorgehen:

Tipps:

Fakten:

Am Beispiel einer Warn 9.5xp mit 4400 Kg Hebeleistung und 38 Meter Stahlseil: Die Seilwinde braucht bei 2.7 Tonnen Zugkraft etwa 330A. Das Seil hat dabei eine minimale Geschwindigkeit (erste Seillage) von 3.1 m/Min. Lassen wir sie also 10 Minuten mit dieser Last laufen, ziehen wir etwa die gesamte Seillänge (38 Meter) ein und verbrauchten dabei ca. 50 Ah. Ohne Last braucht diese Seilwinde 70A und zieht dabei das Seil mit 12 m/Min ein. Bei Volllast von 4.4 Tonnen braucht sie 480A und das Seil hat eine Einziehgeschwindigkeit von 2.5 m/Min.

NIEMALS !!! Dieser Screenshot stammt aus dem Werbevideo einer Abenteuerschule die "Bergeseminare" anbietet! Die Winde ist im vollen Einsatz und zieht den Landrover den Hang hoch !?

Bemerkung: Eine Situation wie auf dem Screenshot kommt bei uns Reisenden kaum jemals vor. Nur der Trophy-Fahrer muss umsverrecken irgendwo hoch. Wir Reisende können umdrehen und uns einen besseren Weg suchen. Wir brauchen Seilwinden hauptsächlich für die Eigenbergung, wenn wir irgendwo reingerutscht sind oder etwas übersehen oder falsch eingeschätzt haben. Oder, was bei unseren hochgeländegängigen Reisefahrzeugen auch gern passiert, du musst jemanden anderen bergen. Eine Fremdbergung mit der Seilwinde ist zwar zeitaufwändiger, aber deutlich schonender und sicherer für dein Fahrzeug als ein Herausziehen! Meist braucht es zur Bergung nur wenige Meter! 

Bergen mit Greifzug

Meist braucht es zur Eigenbergung bei Reisefahrzeugen nur wenige Meter. Wieso nicht die günstige und praktische Bergehilfe Greifzug mit führen. Das stimmt, aber Greifzüge sind deutlich gefährlicher als Seilwinden und der Umgang damit muss geübt und ihre Grenzen erkannt werden. Zudem sind sie gross und schwer, sie müssen irgendwo im Fahrzeug verstaut und gesichert werden. Der grösste Nachteil aber, der Bediener steht direkt am Werkzeug. Sollte etwas brechen oder reissen ist die Gefahr gross vom Bergeequipment getroffen zu werden.

Wichtig: Immer das Fahrzeug zu-sich-hin ziehen!  Also den Greifzug möglichst nah am Ankerpunkt befestigen und das Fahrzeug zu sich ziehen.

Vorgehen

Tipps

Minimalausrüstung: 1.6 Tonnen Greifzug mit 20 Meter Stahlseil, Hebelrohr (zusammengeschoben) Baumgurte, 2 Meter Kette, Schäkel und Handschuhe. Gesamtgewicht der Ausrüstung 33 Kg.

Fakten:

Ein 1.6 Tonnen Greifzug wiegt 11 Kg, 20 Meter 11mm Stahlseil 17 Kg mit Haspel. Pro Hebelbewegung (Einzelhub) zieht der Greifzug 3 cm Stahlseil hindurch und braucht bei Volllast dabei 30 Kg Hebelkraft. Für eine Zuglänge von 10 Meter, braucht es also etwa 330 Hebelbewegungen. 

Ein 3.2 Tonnen Greifzug wiegt 21 Kg, das 16 mm Stahlseil entsprechend mehr. Sein Hebeldruck bei Volllast ist 50 Kg und er zieht das Seil 2 cm ein pro Hebelbewegung, also 500 Hebelbewegungen für 10 Meter Zuglänge.

Greifzüge von namhaften Herstellern haben 5 fache Sicherheitslast! Ein 1.6 Tonnen Greifzug sollte also 8 Tonnen zumindest halten können.

Die Dicke des Stahlseils ist nicht der Zugleistung geschuldet, sie ergibt sich aus den Abmessungen der Klemmbackenpaare. Je dicker das Seil, desto grösser ist dessen Oberfläche wo die passenden Klemmbacken angreifen können.

Die Stahlseile für Greifzüge haben eine Abnützung und müssen, je nach Nutzung, nach ein paar dutzend bis einigen hundert Verwendungen ausgetauscht werden. Allerdings wird diese Anzahl Nutzungen beim Gebrauch mit Reisefahrzeug nie erreicht werden.

Bemerkung: Wer oft mit diesen Geräten arbeitet, beruflich oder privat. Hat selten eine gute Meinung über diese Werkzeuge. 

Bergung mit allen Mitteln, die kombinierte Bergung  

Szenario: Ein kleiner Fahrfehler (nach einer 90° Kurve, vor Steilabfahrt zu wenig nach rechts ausgeholt, bzw. nicht zurückgesetzt um das Fahrzeug auszurichten und nachfolgend ein "kleiner Ruck am Fahrzeug") sorgte für ein Abrutschen in eine Erosionsrinne:

Das Fahrzeug ist dabei in bedenkliche Schräglage geraten, der lose Sand der Erosionsrippe hält es nur grad so eben in Position. Das rechte Hinterrad ist völlig entlastet und auch vorne rechts ist nicht mehr viel Gewicht auf dem Rad:

Als erstes, muss das Fahrzeug gegen Umkippen gesichert werden. Um es erst mal etwas zu stabilisieren, wird der Schwerste der Gruppe auf das Trittbrett gestellt, die Beifahrerin ebenfalls möglichst weit rechts Positioniert. Eine Bergegurte wird um das Fahrzeug gelegt (der Astabweiser erscheint als Anschlagpunkt zu wenig stabil!!) um mit einem seitlich positionierten, mit Seilwinde ausgerüsteten Fahrzeug den zu bergenden zu sichern.

Mit der Seilwinde wird die Bergegurte angezogen um das Fahrzeug gegen ein Umkippen zu sichern. Nach hinten wird eine weitere Bergegurte verlegt um das Fahrzeug am Vorwärts-Abrutschen zu hindern, bzw. es später kontrolliert abseilen zu können. Die hintere Bergegurte ist auf dem Bild noch nicht gespannt! Es mussten drei 14 Meter lange Gurten verbunden werden, weil sich erst in dieser Entfernung eine sichere Möglichkeit bot, ein Fahrzeug zu positionieren. Der direkt folgende Bremach konnte, wegen der Enge und seiner Position 90° zum Havaristen nicht als Bergehilfe genutzt werden.

Auf Seite der Erosionsrinne wird das nun gesicherte Fahrzeug freigeschaufelt und mit allem erreichbaren Sand und Steinen die Erosionsrinne so gut es geht aufgefüllt. Da sich der Sand nicht so stark verdichten lässt, dass er das Fahrzeug auch sicher tragen kann (ca. 5.5 Tonnen Gewicht) werden zur Stabilisierung zusätzlich Sandbleche gelegt.

Nun wird das Fahrzeug unter Nachlassen von Windenseil und Vorfahren des hinten mit Bergegurten sichernden Fahrzeugs  langsam abwärts in die Spur zurück geführt. Der Bergungsleiter (links-oben im Bild erkennbar) stellte sich dazu auf eine Position, von der aus er alle Beteiligten gut sehen kann und gab seine Anweisungen per Funk.

Ohne Funk wäre die Koordination stark erschwert gewesen, stand das hinten sichernde Fahrzeug doch gute 30 Meter entfernt, hinter einer Hecke!

Die Bergung dauerte etwa 90 Minuten und es entstanden keine gravierende Schäden. Einzig das automatisch ausfahrbare Trittbrett, bei Aufbauten dieses Herstellers etwas exponiert platziert, nahm Schaden.

Meinung vom (Wildwux): Die Geländeposition in der sich das Fahrzeug befand war nicht ausgesprochen spektakulär. Was die Bergung aber knifflig gestaltete, war das hohe Gewicht und die grosse Fahrzeughöhe, mit der daraus resultierenden Kopflastigkeit. Der Astabweiser bzw. dessen Befestigung wurde von uns beteiligten, (alles Leute mit viel Erfahrung) als Zierelement betrachtet. Die Bergegurte um das Fahrzeug seitlich zu sichern, musste also um den Aufbau herum gelegt und  zwischen Solarpannel, Dachhaube und Fernsehantenne durch gepfriemelt werden. Ein einsetzendes Gewitter mit Platzregen machte die Sache auch nicht leichter. Ein leichteres und kompakteres Fahrzeug wäre erheblich einfacher zu bergen gewesen.

Andere Bergemittel

Bergen mit Hi-Lift

Für eine Fahrzeugbergung mit dem Hi-Lift gilt das selbe Vorgehen wie für eine Bergung mit Greifzug.

Falsch! Er schaut in die falsche Richtung und ist zu nahe am Fahrzeug. IMMER das Fahrzeug zu-sich-hin ziehen.

Bemerkungen: Offroad Survivor schwören auf die Hi-Lift Wagenheber. Aber der Hi-Lift150 hat eine nutzbare Zuglänge von etwa 130cm, der  Hi-Lift120 eine von etwa 100cm. Wie oben geschrieben, braucht es zur Eigenbergung von Reisefahrzeugen oft nur ein paar Meter. Hier jedoch geht es eher um Zentimeter. Zudem benötigt man einiges an Schäkeln und Bergegurten um bei der äusserst bescheidenen Zuglänge diese auch vollumfänglich einsetzen zu können. Erschwerend kommt dazu, dass sich auch statische Bergegurte unter Zug etwas dehnen. Netto bleiben da bloss wenige dutzend Zentimeter Zuglänge. Umgehen könnte man dies, indem man Ketten verwendet. 

Hi-Lift Wagenheber sind sperrig, schwer und bei unseren Reisefahrzeugen nur bedingt als Wagenheber zu gebrauchen, weil hinten meist ein Wohnaufbau im Weg steht. Zudem brauchen sie gewissenhafte und regelmässige Pflege, weil der Bolzenmechanismus, wenn verschmutz und/oder rostig, störanfällig ist. Und, auch nicht unerheblich, die maximale Hublast liegt bei 2 Tonnen.