Anforderungen
Individuelle Anforderungen
Alle, die sich für einen BREMACH - IVECO - SCAM oder ein ähnliches Fahrzeug als Basis für ihr Fernreisemobil entschieden haben, haben im Prinzip dieselbe Anforderung: ein ziemlich geländetaugliches Wohnmobil, das mehr Komfort bietet als ein ausgebautes Buschtaxi, aber doch keinen Lastwagen. Doch schaut man sich in der Galerie um, stellt man sehr rasch fest: jedes der vorgestellten Reisemobile ist total individuell. Sowohl was das Design wie auch was die Umsetzung angeht. Ist doch eigentlich Wahnsinn — jeder erfindet das Rad wieder von neuem! Oder etwa doch nicht?
Der springende Punkt hier ist der Einschub "im Prinzip". Ein Fernreisemobil ist ein ziemlich komplexes und hochgradig optimiertes Wesen, genau so wie seine Besitzer. Im Detail unterscheiden sich die Anforderungen eben doch recht stark. Das beginnt beim Budget; findet Fortsetzung bei den bereisten Gebieten, den hauptsächlich geplanten Jahreszeiten, dem Komfortgrad, der Anzahl mitreisenden Personen, etc.; und hört mit individuellen Ästhetikgefühl und der Wahl des Aufbauers noch lange nicht auf.
Ein Fernreisemobil von Grund auf zu gestalten ist eine komplizierte, langwierige und recht teure Angelegenheit. Aber auch eine unheimlich spannende und belohnende. Letztlich ist es wie beim Hausbau: das erste Haus baut man für einen Fremden, das zweite für einen Freund und das dritte für sich selbst. Abgesehen davon, dass ein Reisemobil nie ganz fertig wird, weiss man schon nach der ersten Reise, was man doch besser anders gemacht hätte. Vieles lässt sich später relativ einfach ergänzen oder ändern — eine Stauklappe zu wenig eingebaut ... kein Problem, wo ist die Stichsäge? —, anderes nicht — Mist! 6 cm zu hoch für den Überseecontainer ...
Von Kompromissen
Letztlich ist jedes Reisemobil ein vieldimensionaler Kompromiss, der der Gesamtheit der Bedürfnisse seiner Besitzer optimal Rechnung trägt. So sollte es zumindest sein. An jedem anderen Reisemobil, das man antrifft, findet man clevere Lösungen, die in einem sofort einen Bewertungsprozess des eigenen Fahrzeugs auslösen. Im besten Fall stellt man fest, dass sich die clevere Idee leicht kopieren lässt. Im Normalfall ist es aber nicht so leicht, und man beginnt bereits am eigenen Design zu zweifeln. Doch bald findet man am anderen Fahrzeug Mängel, wo das eigene Mobil Stärken zeigt. Und am Ende muss man sich auf die alte Wahrheit besinnen: mein Reisemobil ist ein vieldimensionaler Kompromiss, der meinen Bedürfnissen optimal Rechnung trägt, denn ich weiss, wozu ich mein Fahrzeug konzipiert habe. Ich kenne meine Anforderungen und deren Limitierungen. Aber ich habe das Maximum herausgeholt. Und darum mag ich mein Reisemobil so wie es ist.
Aber es kostet viel Zeit, Denkarbeit und Ehrlichkeit, um den eigenen Anforderungen genau auf den Grund zu gehen und sie richtig zu priorisieren. Das ist ein sehr wichtiger Prozess. Und er ist der Grundstein zum Fernreisemobil, das am Ende die Erwartungen erfüllt und Spass macht.
Der Anforderungsprozess
Der Anforderungsprozess ist für jeden Reisemobilbesitzer individuell. Der eine baut schon sein drittes Fahrzeug auf, der andere war bisher nur mit dem Rucksack unterwegs. Bei allen Unterschieden gibt es aber ein paar Elemente, die einen "guten" Anfoderungsprozess von einem "schlechten" unterscheiden:
Die Anforderungen sollen schriftlich festgehalten und priorisiert werden, z.B. nach muss, soll und kann; ist ein muss-Kriterium nicht erfüllt, ist das Fahrzeug am Ende für die beabsichtigten Zwecke unbrauchbar; ist ein soll-Kriterium nicht erfüllt, ist mit Einschränkungen im Einsatz zu rechnen; ist ein kann-Kriterium nicht erfüllt, hat dies lediglich eine Komforteinbusse zur Folge. Beispiel eines Anforderungsdokuments.
Ob man dabei nur Skizzen mit Papier und Bleistift erstellt oder mit dem Computer ein 3D-Modell zeichnet, ist unerheblich. Wichtig ist die Schriftform von wohl ausgedachten Anforderungen.
Um jede einzelne Anforderung sowie um ihre Priorisierung ist hart zu ringen. Die am einfachsten zu lösende Anforderung — und dabei erst noch die billigste, — ist diejenige, die man als unnötig eliminieren kann. Im Übrigen ist es schlicht unmöglich, das "richtige" Fahrzeug aufzubauen, wenn nur muss-Anforderungen vorliegen.
Phasen der Anforderungsaufname wechseln sich mit Phasen der ideellen Exploration ab. Soll heissen: die endgültigen Anforderungen können nicht in einen Zug zu Papier gebracht werden. Anforderungen sind abstrakt; von Zeit zu Zeit muss man sich vergewissern, dass es mindestens Lösungsansätze dafür gibt. Also raus aus der Welt aus Papier und Dokumenten und rein in die Welt des Reisens, der Konstruktion, der Gesetze und Verordnungen, der Finanzen: Studium von Webseiten wie die vorliegende; Gespräche mit Reisemobilbesitzern; Besichtigungen; Probefahrten; Besuche von entsprechenden Messen; Teilnahme an Treffen von Fernreise-Aficionados; Besuche von Reisevorträgen, etc. Und dann wieder zurück zum Papier.
Im Prinzip (... hatten wir ja oben schon einmal ...) ist das Design die Folgetätigkeit nachdem die Anforderungen stabil geworden sind. Aber das ist Theorie. Das Umsetzen der eigenen Anforderungen gehört mit zu den interessantesten Tätigkeit beim Aufbauen eines Reisemobils. Und das Design ist oft der Prüfstein für die Anforderungen, denn der Designprozess geht auch mit einem Wissensgewinn einher, der mehr Klarheit, neue Ideen und Einsichten verschafft. Und plötzlich sinkt eine Anforderung von muss auf kann ... und der Kreis schliesst sich.
Es mag nach einem reichlich philosophischem Ansatz klingen, wenn jetzt das Reisemobil in der Maslow'schen Bedürfnispyramide verortet wird, schafft aber Klarheit bezüglich den primären Zweck des Fahrzeugs: grundsätzlich soll es uns
Schutz und Sicherheitsgefühl geben, d.h. einen warmen, sicheren Platz am Trockenen,
die Selbstverwirklichung zu ermöglichen, z.B. die Reise durch unwegsame Gebiete, aber auch jahrelanges Basteln ohne eine einzige Reise …
Nicht mehr und nicht weniger.
Oft werden mit 4x4-Fahrzeugen aber auch das Dazugehören gesucht. Diese Fahrzeuge, meist "Expeditionsfahrzeug" genannt, sind dann dauernd auf irgendwelchen Treffen zu sehen, werden aber nie wirklich zum Reisen eingesetzt. Oder es wird Anerkennung gesucht "Den ganzen Innenausbau habe ich selbst gemacht", oder es wird Status demonstriert "Wir haben 500 Liter Trinkwasser an Bord" oder "Das Fahrzeug hat mehr als 200.000 € gekostet".
Konkret: Die Grundüberlegungen
Im Folgenden werden einige typische Anforderungen an Reisemobile und deren praktische Konsequenzen dargestellt. Hier in erster Linie für Fahrzeuge auf Basis von BREMACH - IVECO - SCAM - Fahrgestellen. Viele dieser Überlegungen gelten aber auch für andere Reisefahrzeuge, sowohl kleinere wie auch grössere, allradgetriebene wie auch 2WD.