Allradantrieb ja oder nein?

So ein Allrad-Reisefahrzeug ist eine auffallende Erscheinung. Kaum taucht man mit so einem Fahrzeug auf einem Campingplatz auf, ist man sich vieler Kontakte und interessanter Gespräche sicher. Die erste Frage ist natürlich immer "woher - wohin". Aber gleich darauf kommt die Diskussion über Allradantrieb, Bodenfreiheit, Robustheit, Reichweite, Autonomie usw. auf.  

Ja, braucht es eigentlich den Allradantrieb, die Untersetzung, die Bodenfreiheit, die Sperren? Oder ist das nur etwas für Wüstenfahrer?

Das kommt natürlich sehr darauf an wo und vor allem WIE man reisen möchte. Natürlich ist es möglich, mit dem 2wd Camper in Marokko einen schönen Urlaub verbringen zu können. Jeden Winter tun dies ganze Heerscharen von Rentnern. Aber auch Rumänien, den Balkan, Skandinavien, Finnland, ja selbst Island kann man mit 2wd bereisen. Aber an die wirklich interessanten Strecken und Gebiete kommt man nicht ran. Eben da wo nicht der ganze Strand oder das Tal mit WoMos vollgestellt und die Einheimischen "diese Bande in ihrem WoMo-Ghetto" am liebsten loshaben möchte. 

Naturliebhaber, Reisende die Ruhe, Abgeschiedenheit und Einsamkeit suchen, oder wer ferne Länder und Kulturen erleben möchte, wird es mit dem von-der-Stange WoMo nicht einfach haben und da und dort auch mal stecken bleiben ! Viele Länder, auch in Europa, haben kein so üppiges Budget, um den Weg ins hinterletzte Tal zu Asphaltieren. Alle diese Wege werden aber von Landwirten, Hirten oder Forstarbeitern genutzt und sind auch in einem dementsprechenden Zustand.

Mit dem normal-Wohnmobil kommt man (nicht nur ausserhalb Europas) an viele schöne und interessante Orte nicht hin, kann viele Strecken nicht befahren. Aber mit dem Allrad-Reisefahrzeug kann man eben auch problemlos auf dem Camping in Südfrankreich stehen!

Bodenfreiheit   

Wald- und Feldwege haben meist eine Erhöhung in der Mitte und aussen der Spur. Bei Regen oder Schneeschmelze sammelt sich in der eingetieften Fahrspur Wasser und fährt man mit Fahrzeugen durch hinterlässt dies eine Rinne. Am Hang werden Fahrspuren gern zu Teilzeitbachbetten und es bilden sich Errosionsrinnen. Bei Trockenheit sind solche Hindernisse auch ohne Allradantrieb zu bewältigen, sofern man ordentliche Reifen und genügend Bodenfreiheit hat. Ein grosser Vorteil ist ein kurzer erster Gang, oder eine Untersetzung. So kann man in Langsamfahrt diese Hindernisse überwinden ohne die Kupplung stark zu belasten, oder durch gerüttelt zu werden. Allrad ist dort nur bei Nässe nötig. 

Die Untersetzung 

Verwerfungen auf Pisten oder Wegen muss man langsam bis sehr langsam überwinden, will man Schäden, eine Unordnung im Innenraum und blaue Flecken vermeiden. Ein kurzer erster Gang oder besser eine Untersetzung sind da wirklich sehr hilfreich. Sonst muss man diese Hindernisse mit schleifender Kupplung bewältigen, was diese dann auch gern mal mit ihrem Abrauchen quittiert. 

 Der Allradantrieb 

Es ist erstaunlich, wie weit man mit einem 2wd-Fahrzeug mit ordentlich Bodenfreiheit, tiefem ersten Gang, guten Reifen, kurzem Überhang und einer Achssperre- oder ETC kommt. Viele Gebiete sind zu erreichen, die meisten Strecken zu befahren. Mindestens solange es trocken ist! Aber leider sind Camper auf solchen Basisfahrzeugen selten, und sie sind auch nicht gerade günstig. Lediglich bei Nässe kann es gut sein, dass die Piste oder der Feldweg nicht mehr mit 2wd befahren werden kann. Dumm, wenn man abends den netten, abgelegenen und einsamen Platz über trockene Wege erreichte und morgens, nach kräftigem Regen, nicht mehr von dort weg kommt.   

Anders schaut es allerdings in Wüsten aus. Nicht nur beim "Spielen in den Dünen", sondern auch auf gewöhnlichen Wüstenpisten trifft man oft auf Passagen, die gerne auch mal aus feinem, tiefem  (herangewehtem- oder geschwemmten) Sand bestehen. Ohne Allradantrieb wird eine solche Passage anstrengend, vor allem wenn z.B. eine Steilstufe vor einem liegt, oder die selten befahrene Piste beim letzten Sturm zugeweht wurde.

Unterwegs auf stark verwehter und sehr selten befahrener Piste

Querung eines Qued. Feiner Sand im Vorfeld, steile, verworfene Uferböschung und gleich danach eine 90° Kurve.

 Die Achssperren oder ETC (elektronische Traktionskontrolle)

Beim 2wd Camper sind Achssperre oder ETC zwingend nötig um einigermassen schlechtwegtauglich zu sein. Bei Allrad-Reisefahrzeugen sind sie erst nötig, wenn man sich damit auf stark verworfene oder sehr steile Pisten und Wege wagt. Zwingend sind sie nicht, aber sind sie schon ab Werk verbaut, umso besser! 

Fazit: Die normalen Camper von der Stange sind zu tief (damit man gut einsteigen/beladen kann), haben kaum Platz für grosse Räder, (Lieferwagen für die Strasse) verfügen nicht über einen kurzen ersten Gang und schon gar nicht über eine Untersetzung. Anstatt einer Sperre sind sie zudem, wenn überhaupt, mit elektronischer Traktionskontrolle ausgestattet und die bringt auf der verworfenen Piste in Langsamfahrt nichts. Zudem leiden sie alle unter grosser Verwindung, da sie für maximale Zuladung und Strassenfahrten konstruiert wurden. 

 2wd Fahrgestelle, mit grosser Bodenfreiheit, kurzem erster Gang, der Möglichkeit grosse, grobe Reifen zu montieren und einer Achssperre gibt es nicht viele und sie sind zudem nicht gerade günstig. Also ist es doch nicht so Abwegig den allradgetreibenen, leicht-LKW als Basis für ein Reisefahrzeug zu nutzen. 

Es braucht jedoch nicht das "super geländegängige Spezialfahrzeug" für eine tolle Reise. Diese Fahrzeuge trifft man sowieso meist nur auf Ausstellungen und Globetrottertreffen an, wo deren Besitzer die Anwesenden mit ihren Reiseträumen unterhalten, die sie dann doch nie verwirklichen. 

Erkundigt man sich bei reiseerfahrenen Weltreisenden, (wie es viele Mitglieder dieser Community sind) hört man immer die selbe Antwort. Die Geländegängigkeit eines normalen Geländewagen reicht völlig aus. Denn die Pisten, auch ins hinterletzte Dorf, sind nicht für das ultimative Geländefahrzeug (bzw. für das Ego dessen Besitzers) gemacht, sondern für die dort lebende Bevölkerung.